Das Kamerun-ABC

 

 

 

  • A wie Autos

    Es ist ein offenes Geheimnis, dass alte, ausgemusterte Autos irgendwann auf mehr oder weniger verschlungenen Pfaden in Afrika anrollen. Aber die in Deutschland als nicht mehr fahrtüchtig geltenden und, schlimmer noch, nicht mehr den Sicherheitsvorschriften entsprechenden Karren erweisen sich hier im Schlaglochdschungel als unvermutet robust - und das entscheidende Bauteil ist sowieso die haltbare Hupe.

    So kommt es, dass man auf der Straße immer wieder zu amüsanten Begegnungen mit dem LKW des „lila Bäckers“ aus Pasewalk oder dem Transporter eines gewissen „Elektro Fritze“ aus Wuppertal kommt.

 

  • A (2) wie Advent

Mein Abflug nach Kamerun fand ja am 30.08 statt, das heißt, ich habe die ersten, peinlich verfrühten Vorboten Weihnachtens (Lebkuchenverkaufsstart im Discounter, pünktlich nach Ende der Sommerferien) knapp verpasst. Jetzt ist der vierte Advent vorüber, und, zugegebnermaßen, wäre ich mittlerweile für ein wenig künstlich produzierte weihnachtliche Stimmung offen. Denn hier in Bafoussam mag sich die nicht so recht einstellen, obwohl eigentlich zumindest halbherzig nachgeholfen wird: An großen „Rondpoints“ wurden Lichterketten aufgehängt, Einrichtungen wie Banken schmücken ihren Eingangsbereich entsprechend, an der Schule feierte man am letzten Schultag eine Weihnachtsfeier und selbst die Gastfamilie hat einen Weihnachtsbaum im Wohnzimmer stehen.

Leider werden all diese Bemühungen konterkariert: Lichterketen sind schön und gut, aber eben auch nur in der Dunkelheit und die verlebt man als weißer Freiwilliger am besten in der Wohnung und nicht an Straßenkreuzungen. Die Feierlichkeit an der Schule war eine gelungene Angelegenheit mit vielen, eifrig geprobten Einlagen von Seiten der Schüler und erfrischend wenig staatstragenden Reden, dennoch sind Hawaii-Tänze und eine Modenschau nicht unbedingt die erste Weihnachtsassoziation und bei dreißig Grad im Schatten leidet nicht nur der, auch von einem Schüler gegebenen Weihnachtsmann in seinem dicken Mantel. Auch Plätzchen und Punsch sucht man vergebens, gegessen wird auf einer solchen Veranstaltung das übliche Fischbaguette und die noch viel üblicheren Beignets. Und dass der Weihnachtsbaum hier keine frischgeschlagene Nordmanntanne ist, sondern entweder künstliches Gestrüpp oder eine seltsame afrkanische Kiefernart dürfte auch klar sein. Aber das alles soll ich nicht bedeuten, ich würde das Hiesige nicht wertschätzen, denn dem ist nicht so. Schon allein, dass ich einmal im Leben einen Dezember ohne „Last Christmas“ verbringen kann, macht das kamerunische (Vor)Weihnachten zu einem wunderschönen Erlebnis.

  • B wie Bindehautentzündung
    Der doch trotz des fast täglichen Regengusses recht staubigen Luft und dem heftigen Gegenwind bei Mototaxifahrten waren meine Augen nicht gewachsen. Ein Brennen und eine erhöhte Lichtempfindlichkeit führten mich zum Augenarzt des „Hopital des Baptistes“, der eine Bindehautentzündung diagnostizierte und die entsprechenden Medikamente verschrieb.
  • B wie Bürokratie
    Der Traum eines jeden Freiwilligen ist es, eine Carte de Séjour zu ergattern. Dies sind zwei Jahre gültige, schweineteure Aufenthaltsgenehmigungen, die einem die Beantragung einer noch schweineteureren Visumsverlängerung ersparen. Zudem hat man so die Möglichkeit, im dem Freiwilligendienst nachfolgenden Jahr noch ein Mal vorbeizuschauen und die zukünftigen Freiwilligen ungefragt mit seinem reichen Erfahrungsschatz zu beglücken.
    Die Kameruner sind allerdings der Meinung, dass man sich diese Karte aber anständig verdienen muss, und schicken einen zur Reifeprüfung in den Behördendschungel. Schon allein um sich die nötigen Dokumente für den eigentlichen Antrag zu beschaffen, muss man in vier verschiedenen Ämtern antanzen, wahlweise mit Geld für eine legale, zum Zertifizieren übliche „timbre“ (Briefmarke) oder einer offiziell illegalen „Motivation“ in der Tasche. Die richtige Reihenfolge beim Ämterparcours ist zwar enorm bedeutend, scheint sich aber von Jahr zu Jahr zu ändern, weswegen auch die lieb gemeinten Ratschläge von Vorfreiwilligen wenig bringen. Wer Pech hat, bekommt außerdem zwischenzeitlich die Karte „Gehe zurück auf Los“ - dann nämlich, wenn Behörden plötzlich doch für einen weiteren wichtigen Wisch bereits erbeutete Originaldokumente einbehalten müssen.
    Aus politischer Korrektheit scheut man sich vor diesem vielleicht vorschnellen und arroganten Urteil, dennoch kommt dem deutschen Otto Normalverbraucher der Verwaltungsapparat doch recht aufgebläht vor. Zudem residiert jedes Amt in einem meiner Meinung nach überdimensionierten Gebäude, dessen eine Hälfte häufig leer steht. Dagegen sorgen aber die vielen bunten Stempel, von denen sich auf jedem bestätigten Dokument mindestens drei finden lassen, für Heiterkeit.
  • C wie  Chutes des Metches
    Der erste Sonntagnachmittagsausflug wurde gemeinsam mit Gastvater Innocent zu den Wasserfällen von Metches unternommen. Kaum 100 Meter von der Hauptstraße zwischen Bafoussam und Bamenda (übrigens auch diese in deutlich besserem Zustand als so manche vergessene deutsche Bundesstraße) entfernt und dennoch leicht zu übersehen, da nur ein nicht mehr lesbares Miniaturhinweisschildchen zur Attraktion weist. Auf einer schmalen Treppe gelangt man an den Fuß des geschätzt 15 Meter hohen, laut brausenden Wasserfalls. In Kolonialzeiten warfen die Franzosen hier gerne widerspenstige Kameruner hinunter- zumndest bis ein findiger verurteilter Stammeshäuptling eines denkenswerten Tages einen hochrangigen, aber unaufmerksamen französischen Kolonialoffizier mit sich in die Tiefe riss. Ironischerweise war dieser Häuptling noch dazu der allererste, der den sonst tödlichen Sturz überlebte.
  • C wie CAN- Cup of African Nations

     

    Mich würde ja durchaus interessieren, inwieweit in Europa von einem Ereignis Notiz genommen wurde, dass hier in Kamerun das ganze Land elektrisierte: Der triumphale Gewinn der Fußballafrikameisterschaft durch die „Lions Indomptables“ mit ihrem belgischen Trainer Hugo Broos. Wahrscheinlich ist es die Meldung nicht über die Randspalten hinaus gekommen.

    Auch die europäischen Profivereine rissen den Großteil der Löwen rasch wieder aus dem Siegestaumel, was zur amüsanten Folge hat, dass nun eine Rumpfgruppe von sage mal zwei (!) Afrikameistern die umjubelte Siegesrallye durch alle zehn Regionalhaupstädte angetreten hat.

     

    Doch noch vor dem Gewinn durfte ich den Siegeszug der Nationalmannschaft in dreierlei verschieden Varianten miterleben. Das Viertelfinale sah ich gemeinsam mit einem Kumpel aus der Nachbarschaft in einer der Bars unseres Viertels. Beziehungsweise hörte es, denn pünktlich zm Anbruch der Schlussphase beim Spielstand von 0:0 fiel mal wieder der Strom aus. Die in dieser Hinsicht leidensfähigen Kameruner sind aber auf solche Eventualitäten vorbereitet und haben in Sekundenschnelle ihr Handy mit der Radioreportage am Ohr. Zum Elfmeterschießen konnten wir die grandiosen Paraden des Torhüters aber wieder mit Bild erleben. Bemerkenswert ist, dass sich in der Kommentation des Spiels eine englischsprachige Frau und ein frankophoner Mann abwechseln- ausnahmsweise ein wirklich gleichberechtigtes Nebeneinander der beiden Landessprachen.

     

    Zum Halbfinale fand ich mich auf Innocents Couchtribüne ein. Statt Stadionwurst gab es vorzügliches Ndolé (irgendein Grünzug mit viel Erdnusspampe) und Kochbananen. Wahrscheinlich durch Marcelines unablässiges Murmeln von Beschwörungsformeln (S´il vous plait, tenez, les lions, tenez encore dix minutes) brachten die kamerunischen Spieler den Vorsprung über die Zeit.

     

    Zum Finale gab sogar ein Public Viewing auf einer Kreuzung des Viertels. Irgendein treudoofer Spaßvogel hatte sogar Stühle aufgestellt, in der irrig-naiven Annahme, die Zuschauer würden darauf sitzen und nicht bei jeder guten Aktion Kameruns mit den Stühlen über dem Kopf wedelnd durch die Straßen sprinten. Wahrscheinlich um noch möglichst lange etwas vom Sieg zu haben, sind die Feierlichkeiten nach Abpfiff so lautstark (Topfdeckel sind hier nämlich nur aus Gusseisen, damit es schön laut scheppert, wenn man zwei davon aneinanderhaut), dass man noch am nächsten Morgen ein leises Klingeln in den Ohren hat.

  • E wie Episches Theater
    Schlimmer hätte es nicht kommen: Flüchtet man doch extra nach dem Abitur (also auch nach dem Deutschabitur) nach Afrika, um sich mal für ein Jahr nicht mit komplexen literarischen Themen auseinandersetzen zu müssen, da ist doch gerade der erste Kameruner, den man bisschen besser kennenlernt, eine Masterstudent der „Afrikanischen Literatur“, der sich aber auch gerne über deutsche Werke auslässt. Es ist durchaus ein seltsames Gefühl, sich in einer windigen Busagence im hintersten Winkel Kameruns über Berthold Brecht unterhalten zu müssen, bzw. je nach Stimmung zu können.
    Aber solange Trésor auch bei anderen Themen ein so anregender Gesprächspartner ist, soll ihm sein Interesse zu für Geradeabiturienten pikanten Themen nachgesehen werden. Vor allem, da er einen gar nicht faul gerne auch zu den zweithöchsten Wasserfällen des Landes führt.
  • E wie Essen:
    Zunächst eine beruhigende Botschaft für alle wenig Experimentierfreudigen. In fast jedem kleinen Resto bekommt man auch das seltsam vertraute Gericht Reis mit Tomatensoße.
    Beunruhigende Nachrichten gibt es eher für alle, die gerne immer wieder Neues ausprobieren.
    Zumindest in den für Freiwilligen mit kleinem Portemonnaie attraktiven Straßenrestos gibt es einen streng limitierten Pool von sechs, sieben Beilagen und sechs, sieben Soßen, die nach Lust und Laune zusammengestellt werden können. Unter den Beilagen findet sich Bekanntes wie Reis und Nudeln, semivertraute Maisgrießbälle und Beignets, aber auch von Deutschen erst zu entdeckende Kochbananen und Maniokgemüse. Nudeln oder Kartoffeln als Hauptgericht sind für kleine Imbisse nicht zu finanzieren, für einen höheren Preis bekommt man gelegentlich abgezählte Spaghetti als Krönung auf den Reis.
    Dazu gibt es besagte Tomatensoße, oft Erdnusssoße oder Gemüse wie Kohl, Sellerie und Bitterkraut.
    Wer will, bekommt gegen Aufpreis geräucherten Fisch dazu.
    Eigentlich sollten sich Deutsche, die ja von Natur aus nicht unterwegs sein können ohne vorzugsweise im Gehen oder Stehen etwas zu mampfen, hier pudelwohl fühlen, verkauft doch alle zwei Meter eine Mamie gegrillte Kochbananen, Prunes (geschmacklich eine Mischung aus Avocado und Zitrone, also definitiv keine Pflaume) und Maiskolben sowie Maniokstangen und Fleischspieße zum Sofortessen. Allerdings wenn man Pech hat mit (bestenfalls nur) darmaufräumender Wirkung, deshalb schrecken hier auch tollkühne Freiwillige eher zurück.
    Als Frühstück bzw. Abendessen verspeisen Freiwillige hier Baguette mit Avocado, süßer oder salziger Erdnusscreme oder Banane. Und falls man gerade nichts davon da hat, schmeckt auch Tomatenmark als Aufstrich nicht zum Davonlaufen schlecht.
    Mir persönlich fehlen hier Milchprodukte am meisten, denn obwohl in jedem Vorgarten Ziegen herumspringen, gibt es für Jogurt und Co. in Kamerun gerade mal eine Fabrik in Douala. Folglich sind die Produkte teuer und taugen nur als Delikatesse zu besonderen Anlässen bzw. als Medizin zum Aufbau der Darmflora nach einer Magen-Darm-Episode.
    Fleisch esse ich hier auch extrem selten, da das einerseits ein gewisses Missfallen meiner vegan lebenden Mitbewohnerin zur Folge hätte und ich andererseits, nachdem ich einmal zufällig in der Metzgergasse auf dem Marché gestrandet bin und dort bei pestilenzartigem Gestank um die im Weg liegenden halben Kuhkadaver herumgestiefelt bin, im selber Besorgen und Zubereiten keine so große Attraktivität mehr sehe. Da ich aber auch daheim weitestgehend auf Fleisch verzichtet habe, fällt mir das nicht so schwer.
  • F wie Flöhe
    Ausgerechnet in der ersten Nacht, in der wir Freiwillige von auswärts beherbergen, fällt mir anhand verräterischer ,leiterartig angeordneter Stiche am Oberschenkel auf, dass sich anscheinend schon ein wenig länger Flöhe in meinem Bettzeug eingemietet haben- mit fließend warmem Blut. Da hilft nur alles bei mindestens 60 Grad zu waschen (natürlich ohne Waschmaschine) und die Chemiekeule sowie alte Hausmittel (Teelicht in Spülisee für fröhliches Läuseertrinken) auszupacken. Nach einem vollen Tag Wascherei ist der Spuk vorbei- erstmal. Am Mittwoch springt mich der räudige Hofhund Corbyn ein weiteres Mal an...
  • F wie Fußball:
    Eigentlich hätte ich niemals gedacht, dass ich mich hier in Kamerun auch noch als Dompteur mit unzähmbaren Löwen herumschlagen muss. Und doch, mittlerweile regelmäßig Dienstags von 15.45 Uhr bis ca. 17.15 Uhr  findet die mäßig erfolgreiche Dressur statt - und ich find es nicht mal schlecht.
    Quatsch, miesen Witz beiseite: „Les lions indomptables“ ist hier der Spitzname der kamerunischen Nationalelf (Dass diese zumindest bei den letzten Großereignissen im Weltfußball recht zahnlos war, wird geflissentlich übersehen.) Und meine persönliche „Nationalelf“ hat sich hier aus den Collègeschülern erwartbar schnell zusammengefunden - liegt natürlich an der überragenden Persönlichkeit und den unübertrefflichen Fachkenntnissen des Startrainers und nicht an den zwei für hiesige Verhältnisse hochklassigen Fußbällen (Ein Riesendank an die Spender), über die ebenjener Trainer verfügt. Und auch wenn er (der Startrainer ;) ) zwar ab und zu seine Raubkatzen mit teils lustigen, teils fordernden Übungen aus dem dank einer Dekade Praxis in Deutschland übervollen Übungenfundus begeistern kann, ihnen wirklich im freien Spiel etwas zeigen kann der Coach sowieso nicht. Dafür sind seine Zöglinge leistungsmäßig körperlich zu stark und zu schnell, zudem sind die Schüler natürlich an die harte Gangart auf den für Ballkünstler und komplizierte Ballstafetten nicht vorgesehene Hartlehmboden besser gewöhnt. In Deutschland war beim Körpereinsatz wenigstens ein polsternder Bierbauch beim Gegner zu fühlen, hier prallt man an den durch harte Hausarbeit mit Muskeln bepackten Körpern einfach ab.

    Aber Spaß macht jedes Training – dem Übungsleiter und den Spielern.

  • J wie Jour de la Jeunesse

Eigentlich müsste es Woche der Jugend heißen, den eigentlich dreht sich von Montag bis Samstag alles um die nationale und internationale Jugend. Und was ist diese Woche ein Spaß für die Kinder und Jugendlichen Kameruns: Am Montag darf nach entspannten Wartestunden in der Hitze auf dem Platz vor dem Rathaus wenige Minuten lang ein Tanz, eine Einlage oder Ähnliches vor der Stadtprominenz vorgeführt werden, zur Belohnung gibt es dann hochspannenden Reden der agilen und wortgewandten Autoritäten. Ein Heidenspaß sind auch die folgenden Schultage, denn nun wird leidenschaftlich der Defilé für die Parade am Samstag vor dem Gouverneur geprobt, und eifrig und voller Motivation (diese sogar durch die beeindruckend disziplinierten Schüler auf eine innerer Freude beschränkt) stolzieren die Schüler mehrere Stunden fünfzehn Meter auf dem Sportplatz auf und ab. Voller Begeisterung wird auch das traditionelle Großreinemachen in der Schule betrieben.

Und dann am Samstag das große Finale: All die Wartezeit und all die Proben haben sich gelohnt, denn als die Schüler mit seligem Grinsen die Tribüne passieren, ist der Gouverneur vom Anblick so geplättet, dass er sein Handy zückt und eine begeisterte Nachrichten tippt.

Und im Anschluss wird für die Schüler ein wahres Festmahl in Form eines Baguettes mit üppigen drei Fetzen Wurst bereitet, bevor danach die leidgeprüften Lehrer zur Ehren ihrer Schüler leider noch alleine weiterfeiern müssen.

 

Und ja, obiger Absatz ist bitterböse und politisch absolut inkorrekt. Aber bei allen Bemühungen um nicht diskrimienierende Bloginhalte- etwas Zynismus gehört zum Handwerk.

 

  • K wie Kirche:
    Der brave, streng-katholische Isener Kirchgänger dreht sich sonntags gegen sieben Uhr morgens noch einmal im warmen Bettchen um, da wird in der „Paroisse Saint Boniface de Kyenengo“ schon der Eröffnungsgesang angetrommelt. Der brave, streng-katholische Isener Kirchgänger strebt später bekanntlich bereits um circa 9.20 Uhr nach 35 minütigem Gottesdienst "to go"  (tjaha, der Isener Pfoarer, wer ko der ko) wieder dem Weihwasserbecken zum finalen Kreuzschlag entgegen, da wird dann auch endlich in der Kirche in Bafoussam ein letztes Mal im Takt die Hüfte geschwungen.
    Man fragt sich als interessierter, eher lässig-katholischer Bafoussamer Kirchgänger dann allerdings schon, wo denn diese ganze Zeit geblieben ist, denn eigentlich hat man ja alle, logischerweise unveränderlichen Messtexte wenigstens bruchstückhaft wiedererkannt.
    Wahrscheinlich liegt es unter anderem daran, dass die Musik hier zelebriert wird. Der Chor singt nicht nur kräftig (andere Adjektive wären nicht ganz so schmeichelhaft), sondern tanzt und tänzelt dazu. Auch viele (Nicht alle! Das ist mir  ausnahmsweise zur Vermeidung von Pauschalisierungen wichtig) weitere Gläubige gehen mit der Musik (etwa die Hälfte der Texte in der Regionalsprache) mit.
    Zeit braucht auch das doppelte Evangelium, da auch dieses vor der französischen Ausgabe in der alten Stammessprache vorgetragen wird, und die zumindest in diesem Fall ausführliche Predigt. Genug Raum also, um sich als einziger weißer Europäer, ob des Evangeliums nach Lukas über die Wiederbegegnung des armen Lazarus und des reichen Händlers im Himmel - natürlich mit umgekehrter Perspektive als auf Erden - reichlich mies zu fühlen.
    Gegen Ende werden genau wie in Deutschland Ankündigungen gemacht und Termine genannt, doch aus unerfindlichen Gründen dauert auch dieser Programmpunkt in St. Bonifaz dreißig Minuten.
    Um halb zehn strebt man dann auch in Bafoussam dem Ausgang entgegen (ohne Weihwasser, wäre wohl auch zu unhygienisch), um vor der Kirche die unverwechselbare und wohl internationale Ratsch-/Tratsch-/Informationsumschlagsmöglichkeit vorzufinden. 
  • L wie Lehrtätigkeit
    Da ist man noch keine drei Monate zum Feind auf der anderen Seite des Lehrerpultes übergelaufen, schon hat sich die Sicht auf so manche Dinge nachhaltig verändert.
    War es aus Schülerperspektive eine unverzeihliche Gräueltat, wenn erst langwierig die Probe bzw. Klausur verbessert werden musste, bevor der Lehrer geruhte, die Examen auszuteilen, muss man hier feststellen, dass aus ganz praktischen Erwägungen diese Reihenfolge wirklich angebracht ist: Sind nämlich die Tests erst mal unter dem Volk, könnte man genauso gut versuchen, einen Ameisenhaufen zu unterrichten.
    An einer Schule für Gehörlose ist es dann allerdings noch mal verschärft, denn man kann über ein noch so lautes Organ verfügen - ein Ordnungsruf bringt hier gewiss noch keine Ordnung ins Chaos.
    Eher ist sportliche Betätigung angesagt, denn jedem, den man mitansprechen will, muss man erstmal ins Blickfeld hüpfen.
    Natürlich können auch hörende Schüler „auf Durchzug“ schalten. Dennoch - die Ohren des Menschen sind zumindest theoretisch nicht durch einen Schalter willentlich auszuschalten, so bekommt selbst der pubertäre Rambo aus der 8d, der gleichzeitig Schokocroissant mampft, mit dem Banknachbarn Karten spielt und erfolgreich in der Nase popelt, vom Unterricht unfreiwillig mehr mit als der gehörlose Schüler, der für sich selber beschlossen hat, dass der Busch vor dem Fenster interessanter ist als der vor der Tafel herumhampelnde Lehrer. Schreikrämpfe bringen Linderung, aber keine Aufmerksamkeit. Und selbst eine noch so ausgefeilte Schimpftirade verpufft wirkungslos, wenn der Angesprochene durch einen kurzen Seitenblick selbst deren Ende festlegt. 

 

  • P wie  Preise
    Die hiesige Währung ist der kamerunische (nicht kameruanische) Franc. Ein einzelner ist ungefähr 0,00152 Euro wert, was bedeutet, dass man per Faustrechnung von 1000 Franc als 1,50 und 100 Franc als 0,15 Euro ausgehen kann. Für besagte hundert Francs bekommt man beispielsweise eine Avocado (das Aromaplus gegenüber denen von der Nettograbbelkiste gibt’s gratis dazu) oder ein - zugegebenermaßen kleines - Baguette („pain“). Auch sonst sind hiesige Nahrungsmittel aus europäischer Sicht preiswert. Gewöhnungsbedürftig sind allerdings die Mengenangaben. Tomaten und Orangen kauft man zum Beispiel in „Haufen“ („un tas“) à vier oder fünf Stück, Reis, Maismehl, Erdnüsse, Maniokmehl werden in „Dosen“ („boîtes“) abgemessen. Anderes kauft man am besten gleich „für XY Francs“.
    Man lebt als Freiwilliger aber nicht im Überfluss, das Verpflegungsgeld ist mit erschütternder Genauigkeit an das kamerunische Preisniveau angepasst, was viele Importprodukte (Käse, Haferflocken, mit Abstrichen Nudeln) für den Durchschnittsfreiwilligen zu Luxusgütern macht.
  • R wie Reisen (wird noch erweitert - habe noch viel vor...)
    Klar gibt es auch in Kamerun Privat-PKWs, aber diese werden vor allem für das Unterwegssein innerhalb einer Stadt verwendet. Grund ist, dass man für so manche außerstädtischen Fernstraßen ein nicht zu verachtendes fahrerisches Können aufweisen muss (beispielsweise die blitzschnelle Entscheidung, ob das linke oder eher das rechte Schlagloch der Hinterachse gefährlicher werden könnte) und vor allem auch, dass eine Fahrt mit dem Reisebus um einiges billiger kommt.

    Diese Reisebusse gehören meist zu kleineren oder größeren Agences (Busunternehmen), die sich auf bestimmte Strecken spezialisiert haben. Bevor es zu theoretisch wird,  ein Beispiel: Will man von Bamenda nach Yaoundé reisen, bewältigt man die erste Etappe nach Bafoussam in einem Kleinbus von „Avenir Voyage“. Angekommen in Bafoussam, kommt man nicht umhin, das Stadtzentrum im Taxi zu durchqueren, um von der Agence de Bamenda zur Agence de Yaoundé zu gelangen („Agences“ sind nicht nur die jeweiligen Unternehmen, sondern auch die Abfahrtsstationen). Nun hat man, da es sich um eine Hauptstrecke handelt, sogar die Wahl zwischen zwei Unternehmen, hier „Binam“ und „General Express“. Aus gleichem Grund fährt man nach Yaoundé auch in größeren Reisebussen.

    Allen Agencen gemein ist die Tatsache, dass es keine festen Abfahrtszeiten gibt, sondern dass der nächste Bus immer erst dann aufbricht,  wenn bei einer weiteren Person die Stoßstange auf dem Boden schleifen würde. Dementsprechend kann es in Kamerun noch viel bitterer sein, wenn man einem vollen Bus nur noch hinterherwinken kann, denn man weiß ja nie, ob und wann der nächste fährt. Natürlich ist die Enge unangenehm, aber es kann auf gewissen Schlaglochpisten gar nicht so nachteilig sein, zwischen zwei gut gepolsterten Mamies eingeklemmt zu sein, als ohne Stabilisierung herumgeschleudert zu werden. Blöd ist nur, wenn besagte Mamies für den Abend Hähnchenschlegel geplant haben und im Bus die noch quicklebendigen Hühnerbeine neben einem zappeln.
  • R wie Ruhr
    Wer jetzt ernsthaft entsetzt annimmt, ich hätte mir die in den Tropen verbreitete bakterielle Magen-Darm-Krankheit Ruhr geholt, darf beruhigt sein: In diesem Punkt wollte ich eigentlich nur darauf hinweisen, dass meine Mitfreiwillige aus einem unbedeutenden Nest (gell, Jonathan) namens Mülheim am der Ruhr stammt. Mir scheint, ich soll wohl ein Leben lang von echten Pottlern verfolgt werden (gell, Jonathan zum zweiten).
    Spaß beiseite - auch im Fall meiner Mitfreiwilligen Marie gilt, dass mit echten Mölmsche Jungs und Mädchen wirklich gut auszukommen ist. Nicht mal um meine mir zueigene krude Sprachmischung aus astreinem Hochdeutsch und einem Hauch Bairischfärbung muss man sich Sorgen machen, denn wirklich pötteln kann Marie nach eigenen Angaben eh nur daheim. Was sie hier auch schwerlich betreiben kann, ist ihr Sport Mannschaftskunstfahrrad. Aber auch ohne Vorführung ihrerseits kann ich durch einige Gespräche gut erahnen, wie faszinierend diese nicht unbedingt allgegenwärtige Betätigung wohl ist.
    Achso ja, der Vollständigkeit halber, die oben erwähnte Magen-Darm-Krankheit Ruhr kenne ich mittlerweile doch auch persönlich.
  • S (3) wie Sport am Sonntag im Stadion
    Von Katzen behauptet man ja, sie hätten sieben Leben. Trainingsanzüge haben zumindest zwei.
    Da hat man als giftgrüne Trainingsjacke des weltbekannten TuS Hinterwaldtstetten lange Jahre tapfer seinen Besitzer während der körperlichen Ertüchtigung warmgehalten, zuverlässig auch im Schneegestöber und bei Starkregen den Dienst verrichtet, und freut sich nun auf die Trainingsjackenruhestand - da wird man plötzlich nach einigen Wochen seligen Schlummers wieder voller Begeisterung übergestreift, ins Stadion getragen und einem Feinstaubbelastung ausgesetzt, die man selbst auf den miefigsten deutschen Aschenplätzen nie erfahren musste...
    So oder so ähnlich geht es vielen bemitleidenswerten Trainingsanzügen deutscher Herkunft. Es ist keine Seltenheit, dass erst im „Stade Omnisport“ die wirklich hitzigen, fetzigen Derbys zwischen dem TSV Gaber-Schlabersheim und dem VfL Neu-Altenburg ausgetragen werden.
    In der Tat ist es bizarrerweise so, dass das Angebot an Sportbekleidung hier vermuten lässt, dass in Deutschland mit Abstand am wenigsten Sport im europäischen Vergleich betrieben wird - die Bewohner der anderen europäischen Länder haben Ihre Trainingskleidung ja noch.
    Sonntags morgens, üblicherweise ab ungefähr 7 Uhr, ist aber zumindest eine Trainingsjacke noch mit Ihrem ursprünglichen Besitzer im Stadionrund unterwegs - die der JFG Isental. Meist wird sie erst gemütlich einige Joggingrunden auf der brechend vollen 400-m-Bahn ausgeführt, dann nimmt sie gemeinsam mit Ihrem Eigentümer an einer der zahlreichen, auf den Rängen verteilten, meist für jeden offenen Aerobic-Einheiten teil. Auf das fast schon obligatorische Zuckerrohrstück danach (findige Mamies verkaufen es an die ausgelaugten Sportler direkt an den Ausgängen des Stadions) verzichtet der Weiße mit dem empfindlichen Darm allerdings gerne.
    Für jeden jungen Trainingsjackenbesitzer in Bafoussam gehört es zum guten Ton, sich Sonntagsmorgens ins Stadion zu begeben. Aber auch Gastvater Innocent rafft sich fast jedes Wochenende auf, auch auf die Gefahr hin, dort „Opa“ („Papie“) gerufen zu werden. Den Freiwilligen freut es, denn so kann auch dessen innerer Schweinehund leichter überwunden werden.
  • V wie Verhandeln
    Wer nicht nach einem Marktbesuch Insolvenz anmelden will, sollte sich möglichst bald Verhandlungsstrategien ausdenken - zumindest beim Einkauf von manchen Produkten. Ich blicke noch nicht ganz durch, welche Käufe „à débattre“ sind, beispielsweise wird man bei einem eigenen Preisvorschlag für Tomaten angeschaut wie ein Außerirdischer (hier als die Steigerung von Außerafrikanischer), dagegen ist ein Nachhaken bei Erdnüssen gang und gäbe. Immer verhandelt wird bei Gebrauchsgegenständen wie Kerzen, Briefumschlägen, Besteck usw. Zwei der eben erwähnten Strategien sind zum Beispiel das Finden einer persönlichen Ebene („t´es mon ami, he?!“; eindeutig nicht so mein Fall) oder das ankündigungslose Davonstreben nach längeren ergebnislosen Verhandlungen - natürlich wartend auf den einlenkenden Nachruf „donne l´argent“. Bei größeren Einkäufen sollte man zudem nach der Bezahlung immer nach dem „cadeau“ fragen, denn mit etwas Glück bekommt man immerhin einen Kuli obendrauf.  

  • W wie Wetter
     Hat man nicht in der Schule von einem tropischen Tageszeitenklima gehört? Feste Strukturen mit einem allnachmittäglichen Regenschauer? Pustekuchen, wenigstens in Bafoussam! Regnen kann es hier zu jeder Tages- und Nachtzeit, fünf Minuten oder fünf Stunden. Oder auch mal zwei Tage gar nicht. Wer ohne Jacke aus dem Haus geht, macht dennoch alles richtig, denn gegen die meist sturzbachartigen Regenfälle kann auch der beste Jack-Wolfskin-Panzer nicht ankommen. Wirklich tragisch ist es aber nicht, von einem Schauer überrascht zu werden, denn hier darf man sich überall unterstellen und den Guss abwarten, auch im privaten Hauseingang. Wer bei Regen trotzdem auf den leergefegten Straßen dringend irgendwo hin muss, ist ein Europäer.
    Den Tag über wechseln sich Wolken und Sonne ab, wobei wolkiges Wetter klar im Übergewicht ist.
    An Tagen ohne Sonnenschein bleibt es recht kühl, nur einen richtigen Pulli mitgenommen zu haben rächt sich. Auch in den Morgenstunden sehnt man sich nach dicken Socken und langen Unterhosen.
    Dass man sich als vielleicht anderes erwartender Europäer die kalten Temperaturen nicht nur einredet, beweisen die vielen kleinen Verkaufsstände für Feuerholz und Kohle, die nicht nur für Kochen am offenen Feuer gedacht sind.